"Alle Phobien und Manien sind gesellschaftliche Phänomene"

Die Krimiautorin Kate Summerscale hat ein Buch über menschliche Ängste geschrieben

16.04.2024 Von Angelika Völkel

„Alle Phobien und Manien sind gesellschaftliche Phänomene. Der Zeitpunkt, an dem sie ermittelt  - oder erfunden – wurden, markierte einen Wandel in unserem Selbstverständnis“ sagt Kate Summerscale. Die Sachbuchautorin und Journalistin befasst sich sonst mit Kriminalfällen. Für Bücher wie Der Verdacht des Mr Whicher oder der Mord von Road Hill House hat sie sogar renommierte Preise gewonnen. Vielleicht liegt es daran, dass die 59-jährige Engländerin sich mit den Ängsten der Menschen so gut auskennt. In ihrem neuen Buch, das in der Übersetzung von Maria Zettner und Caroline Weißbach bei Klett-Cotta auf Deutsch erschienen ist, hat Summerscale von Ablutophobie, der Angst vorm Waschen, bis zur Zoophobie, der Angst vor Tieren, scheinbar alles zusammengetragen, was über die einzelnen Phobien bekannt ist.

Der Begriff Phobie wurde in früheren Jahrhunderten verwendet, um vor allem körperliche Symptome zu beschreiben und als Manien wurden damals Modetrends beschrieben. Phobos war im alten Griechenland der Gott der Furcht und der Begriff Manie geht auf das griechische Wort für Wahnsinn oder Raserei zurück. Erst im späten 18. Jahrhundert wurden Ängste als Phobien bezeichnet und eine Manie bezeichnet heute eine affektive Störung, die meist phasenweise verläuft und bei der sich Antrieb und Stimmung weit über dem Normalniveau befinden.

Bevor übrigens das Auftreten von Furcht oder Unbehagen entsprechend der internationalen Diagnosemanuale als krankhaft bezeichnet wird, muss sie exzessiv und unangemessen sein und mindestens sechs Monate andauern.

Eine Phobie beeinträchtigt das Leben des Betroffenen deutlich. So kann die Angst vorm Fliegen die Karriere eines Betroffenen derart beeinträchtigen, dass beispielsweise ein Manager seinen Job verlieren kann, weil er nicht imstande ist, ein Tochterunternehmen in einem ferneren Land zu besuchen. Spezifische Phobien werden Ängste genannt, die ein Mensch gegenüber bestimmten Tieren, Gegenständen oder Örtlichkeiten erleidet. Diese Phobien sind häufig erfolgreich behandelbar, vor allem mit verhaltenstherapeutischen Methoden.

Ursachen und Hintergründe, warum Phobien entstehen, sind im Grunde nicht klar. Früher zog man den Aberglauben heran, heute kann man Evolutionsbiologen zitieren, die Ängste vor Höhen oder Schlangen als überlebensnotwendige Entwicklung, um den Menschen vor einer bedrohlichen Umgebung zu schützen, betrachten. Dementsprechend sollte der Ekel vor Ratten oder Schnecken vor Krankheiten schützen.

Kate Summerscale geht es jedoch nicht darum, an einem wissenschaftlichen Diskurs teilzunehmen. Die Schriftstellerin spürt die verborgenen Winkel der menschlichen Seele auf und kann dann dem Leser von Baumwolle über Knöpfen bis zum eigenen Heim jede Menge Dinge zeigen, die im Menschen so große Ängste erzeugen können, dass er lieber sein Leben riskiert, als sich mit dem gefürchteten Gegenstand zu beschäftigen.

Kate Summerscale hat eine umfangreiche Recherche betrieben, sie zitiert sehr viele Quellen aus dem 18. und 19. Jahrhundert. Man kann sich gut vorstellen, wie sie Bibliotheken durchforstet hat und akribisch Magazine Zeile für Zeile gelesen hat.

Spätestens nach der Lektüre hat der Leser ein tieferes Verständnis für seine leidgeplagten Zeitgenossen entwickelt und ordnet das, wovor ein Mensch sich ängstigen kann, in einen weiteren Kontext ein.

Steve Jobs soll übrigens stets Rollkragenpullover getragen haben, weil er Knöpfe nicht ertragen konnte. Deshalb wurde die erste Maus ohne Bedienungsknöpfe und das iPhone ohne Bedienungsstick entwickelt.

Quelle:

  • Kate Summerscale (2023): Das Buch der Phobien & Manien, Eine Geschichte der Welt in 99 Obsessionen, Aus dem Englischen von Maria Zettner und Caroline Weißbach, Illustrationen von Iris Lindner. Klett-Cotta, ISBN: 978-3-608-98753-9, E-Book ISBN: 978-3-608-12184-1