Anlaufstellen und Psychotherapie-Zugang

In den Jahren 2015 und 2016, als viele Geflüchtete nach Deutschland kamen, wurden die Angebote zur psychosozialen Versorgung traumatisierter und psychisch belasteter Geflüchteter ausgebaut. Derzeit gibt es unter dem Dachverband Bundesweite Arbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge und Folteropfer (BafF) 47 Psychosoziale Zentren in Deutschland. Sie halten ein niederschwelliges Angebot an psychotherapeutischer, sozialarbeiterischer, ärztlicher und rechtlicher Unterstützung für Geflüchtete und Folteropfer bereit. Pro Jahr versorgen sie etwa 20.000 Menschen. Sie müssen aber auch über 10.000 Hilfesuchende abweisen. Weiterhin gibt es oft niederschwellige Beratungs- und Gesprächsangebote in den Erstaufnahmeeinrichtungen.

Weitere mögliche Anlaufstellen für eine Psychotherapie für Migrant:innen und Geflüchtete sind Trauma-Ambulanzen, interkulturell ausgerichtete Ambulanzen oder Stationen in psychosomatischen und psychiatrischen Kliniken, internationale Praxen, die von der Kassenärztlichen Vereinigung betrieben werden und Ausbildungsinstitute für Psychotherapie.

Als niederschwellige Maßnahmen zur Vorbeugung oder Linderung psychischer Erkrankungen wie Trauma oder Depression können mehrsprachige Online-Angebote hilfreich sein. Sie werden zum Beispiel von der WHO, von psychiatrischen oder psychosomatischen Kliniken oder von psychotherapeutischen Einrichtungen auf ihren Webseiten angeboten.

Status Quo: So erhalten Migrant:innen und Geflüchtete derzeit Zugang zu einer Psychotherapie

In den ersten 18 Monaten ihres Aufenthalts in Deutschland haben Geflüchtete noch keine gesetzliche Krankenversicherung. Ein Recht auf eine medizinische Behandlung besteht nur bei akuten Erkrankungen und Schmerzzuständen. Das heißt, es sind hauptsächlich Not- und Akutbehandlungen vorgesehen. Das Asylbewerberleistungsgesetz regelt, welche Leistungen möglich sind. Je nach Bundesland erhalten die Betroffenen eine elektronische Gesundheitskarte mit eingeschränktem Leistungsumfang oder müssen sich im Krankheitsfall einen Krankenbehandlungsschein vom Sozialamt ausstellen lassen. Die Behandlungskosten werden vom Sozialamt übernommen.

Eine Psychotherapie ist bei diesen Geflüchteten eine Ermessensleistung des Sozialamts. Ob eine Therapie möglich ist, hängt davon ab, ob das zuständige Sozialamt sie als erforderlich ansieht und bewilligt. Dabei ist die Bearbeitungszeit für Anträge oft lang und die Ablehnungsquote relativ hoch. Ob eine Psychotherapie möglich ist, hängt auch davon ab, ob es im Umfeld der Flüchtlingseinrichtungen entsprechende Angebote gibt.

Eine Besonderheit in diesem Zeitraum ist, dass Therapien von Psychotherapeut:innen mit und auch ohne Kassenzulassung durchgeführt werden können. Die Anträge auf Kostenübernahme laufen dabei über das zuständige Sozialamt. Diese Regelungen gelten unter anderem für:

  • Asylsuchende/Asylbewerber:innen mit laufendem Asylantrag, die eine Aufenthaltsgestattung haben
  • Personen mit bestimmten Arten von Aufenthaltserlaubnissen oder Niederlassungserlaubnissen
  • Personen, die einen Asyl-Folge- oder Zweitantrag gestellt haben
  • Personen, die keinen Aufenthaltstitel, aber eine Duldung haben
  • ausreisepflichtige Personen, bei denen die Abschiebung noch nicht oder nicht mehr vollziehbar ist, wenn die Entscheidung über die Aussetzung der Abschiebung noch nicht 18 Monate zurückliegt
  • vollziehbar ausreisepflichtige Personen, die keine Duldung haben
  • Ehe- und Lebenspartner:innen und minderjährige Kinder der genannten Gruppen
  • Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus

Aufenthalt ab 18 Monaten

Geflüchtete, die länger als 18 Monate in Deutschland sind, haben einen Anspruch auf die gleiche medizinische Versorgung wie gesetzlich versicherte Deutsche. Sie erhalten eine elektronische Gesundheitskarte, die Kosten werden aber weiterhin vom Sozialamt übernommen.

In diesem Fall haben die Betroffenen einerseits die Möglichkeit, die gleichen psychotherapeutischen Angebote zu nutzen wie Einheimische. Auf der anderen Seite sind Psychotherapien jetzt nur noch bei Psychotherapeut:innen mit Kassensitz möglich. Eine Therapie, die in einem Psychosozialen Zentrum begonnen wurde, muss dann möglicherweise abgebrochen werden.

Seit Oktober 2015 erlaubt jedoch die Ermächtigungsregelung, dass psychologische oder ärztliche Psychotherapeut:innen ohne Kassensitz eine Ermächtigung für die Behandlung von Geflüchteten mit traumatischen Erfahrungen, die länger als 18 Monate in Deutschland sind, beantragen können. Das gleiche gilt für psychosoziale Einrichtungen, die unter ärztlicher oder therapeutischer Leitung stehen. Mit einer Ermächtigung können sie Psychotherapien mit Geflüchteten aus dieser Gruppe durchführen und über das Sozialamt abrechnen. In manchen Bundesländern dürfen mit einer Ermächtigung nur bereits begonnene Therapien fortgesetzt werden, in anderen Bundesländern kann auch eine neue Psychotherapie begonnen werden.

Eine weitere Möglichkeit ist, eine Psychotherapie bei einer Therapeutin oder einem Therapeuten ohne Kassenzulassung über das Kostenerstattungsverfahren zu machen. In diesem Fall muss nachgewiesen werden, dass der Betroffene die Therapie dringend benötigt, aber keinen Platz bei Therapeut:innen mit Kassensitz findet.

Wann werden Geflüchtete gesetzlich versichert?

Wenn Geflüchtete eine Aufenthaltserlaubnis erhalten oder eine versicherungspflichtige Arbeit aufnehmen, die den eigenen Bedarf beziehungsweise den Bedarf ihrer Familie vollständig deckt, werden sie Mitglied in der gesetzlichen Krankenversicherung. Das gilt auch, wenn sie kürzer als 18 Monate in Deutschland sind. Bei Beginn einer versicherungspflichtigen Arbeit werden auch der oder die Partner:in und die Kinder über die Familienversicherung Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung. Das gilt auch, wenn der Betroffene einen laufenden Asylantrag oder eine Duldung hat.

In dieser Gruppe sind Psychotherapien nur noch bei Therapeut:innen möglich, die eine Kassenzulassung haben. Die Ermächtigungsregelung greift dann nicht mehr. Therapien über die Kostenerstattung sind aber weiterhin möglich.

Sonderstatuts für Geflüchtete aus der Ukraine

Geflüchtete aus der Ukraine müssen kein Asylverfahren durchlaufen und erhalten sofort eine befristete Aufenthaltsgenehmigung. Zunächst galt die Regelung, dass sie Anspruch auf eine medizinische Versorgung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz haben. Seit dem 1. Juni 2022 haben hilfebedürftige Geflüchtete, die kein Einkommen oder finanzielle Reserven haben und beim Jobcenter als arbeitssuchend gemeldet sind, Anspruch auf die gleichen Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung wie Deutsche. Nicht hilfebedürftige Geflüchtete haben das Recht, der gesetzlichen Krankenversicherung freiwillig beizutreten.

Ukrainische Geflüchtete, die Sozialhilfe beziehen, sind nicht in der gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversichert. Sie erhalten aber eine Krankenversichertenkarte und können den Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung in Anspruch nehmen. Die Kosten werden dabei vom Sozialamt übernommen.